Sherlock Holmes und der Werwolf

Klaus Peter Walter

Im Nachwort geht Autor Klaus Peter Walter nicht nur auf die beiden Quellen ein, die ihn zu dieser Geschichte inspiriert haben, sondern ordnet den Roman basierend auf einer vorher in einer Sherlock Holmes Anthologie veröffentlichten Kurzgeschichte in den Reigen seines bisherigen Werkes ein. Das Buch erschien zum ersten Mal 2013 und wurde auch als Hörspiel adaptiert. In der Zwischenzeit hat der Autor eine Reihe von weiteren Sherlock Holmes Romanen und Kurzgeschichten verfasst.

Das erste einleitende Vorwort von Klaus Peter Walter ist deutlich irritierend. Der Autor macht sich über die zahlreichen angeblich echten Doktor Watson Aufzeichnungen lustig, die nicht selten eine bestimmte Zeit nach dem Tod von Sherlock Holmes Weggefährten in Schließfächern, in diesem Fall mittels eines USB - Sticks ans Licht der Öffentlichkeit kommen. Dabei verweist Klaus Peter Walter als ordnende Hand in Form einer Reihe von Fußnoten auf Szenen und Zitate, die in anderen Büchern erst nach Doktor Watsons Tod veröffentlicht worden sind. Quod Erat Demonstrandum… Die verschiedenen Fußnoten im Text werden im Laufe der Handlung immer weniger und vor allem unbestimmter. Ein kritischer Beobachter kann und muss allerdings anmerken, dass „Sherlock Holmes und der Werwolf“ eine Fälschung sein soll, aber alle anderen Klaus Peter Walter Geschichten den Fußnoten folgend sind natürlich wahr 

Hier erweist sich der Autor einen Bärendienst, denn immer wieder wird der Leser aus dem inhaltlich sehr ansprechenden Roman gerissen und nicht selten ein wenig belehrend auf die Unmöglichkeit der Echtheit des Textes hingewiesen. Philip Jose Farmer hat in seinem „Shared Universe“ sehr viel effektiver agiert und einen Pulp Helden Stammbaum entwickelt, auf dem er eine Reihe von Geschichten aufgebaut hat. Und die erstaunlichen Verwandtschaftsverhältnisse sind für den Leser überzeugend präsentiert.  Am Ende gelingt es Klaus Peter Walter, die Holmes Dynastie mit ihrer Aufgabe, das Königreich vor Gefahren zu schützen, mit einer anderen sehr populären Serie zu verbinden. Auf den ersten Blick erscheint die These nicht nur steil, sondern absurd. Aber je länger der Leser über die Idee nachdenkt, desto faszinierender ist sie.  

So weit muss es beim  vorliegenden Roman gar nicht kommen. Warum besteht nicht die Möglichkeit, das das Manuskript unter der Hand schon länger seine Runde gedreht hat und einige Schriftsteller sich beim guten Doktor bedient haben? Immerhin finden sich aus heutiger Sicht die klassischen Universal Horror Monster in verschiedenen Inkarnationen in diesem Buch wieder.

Im Titel spricht Klaus Peter Walter den Werwolf an. Vielleicht der einzige Begriff, der in der literarisch klassischen Form vom Autoren  nicht richtig umgesetzt worden ist. Es gibt arme Kreaturen, die unter einer Ganzkörperbehaarung leiden. Aber sie sind damit nicht automatisch Werwölfe, denn diese führen ja bis auf die Vollmondnächte ein ganz normales Leben.

In einer der gruseligen Sequenzen gegen Ende des Buches mit einem hilflosen Sherlock Holmes, aber einem über sich hinauswachsenden Doktor Watson finden sich Anspielungen auf eine weitere literarische Schöpfung. Ohne zu viel zu versprechen, treten Kreatur und Schöpfer aus der literarischen Fiktion wieder ins Rampenlicht der österreichisch- ungarischen Hauptstadt.

Auch „Dracula“ hat einen kleinen Auftritt. Im Gegensatz zu den angeblichen Werwölfen und der Kreatur allerdings nur literarisch. Doktor Watson liest zu Beginn der 1897 spielenden Geschichte – eingeleitet durch ein zweites Vorwort des im Rollstuhl sitzenden alten Doktor Watson – in Bram Stokers „Dracula“, den Watson im Gegensatz zu Sherlock Holmes liebt. Auch erweist sich Doktor Watson im Laufe der Geschichte als ein Fan von Jules Verne.

Während der Lektüre zu „Dracula“ wird Doktor Watson immer wieder durch Besucher gestört, die sich an diesem Abend in der Baker Street 221B buchstäblich die Klinke in die Hand geben. Zuerst ein geiziger Apotheker, der in seinem verwilderten Garten einen Werwolf gesehen haben will. Holmes weist den Fall ab. Dann bittet ihn Frau Trewhella aus Wales um Hilfe. Ihr jüngerer Bruder ist aus Ostindien mit einer seltenen Hautkrankheit zurückgekommen. Bis zu seinem Tod und der heimlichen Beerdigung wurde er von der Familie unter Aufsicht Doktor Barthopes gepflegt. Der Doktor ist kurz nach der Beerdigung spurlos verschwunden und die Frau hat Angst, dass ein Verdacht auf ihren Mann fällt. Im Grab ihres Bruders wird die Leiche des Arztes gefunden, offensichtlich ermordet. Vom Leichnam des Bruders fehlt jede Spur.

Zurück in London begegnet Doktor Watson tatsächlich einer Kreatur, die ihn an einen Werwolf erinnert. Und das im Vorgarten seines Hauses. Kurze Zeit später werden Aufzeichnungen abgegeben, die aufgrund der unsachgemäßen Lagerung in Feuchtigkeit erst mühselig getrocknet werden müssen. Zeit, die Sherlock Holmes fehlen könnte.

Alle Spuren hinsichtlich nicht nur der verschwundenen Leichnams, sondern auch ein seltsamen in London agierenden Wissenschaftlers weisen nach Wien, wo Sherlock Holmes einen alten Brieffreund und Mediziner bei den Untersuchungen mit einbeziehen kann.   

„Sherlock Holmes und der Werwolf“ ist einer der stärksten Romane aus der Feder Klaus- Peter Walters. Das liegt einmal in der Tatsache begründet, dass der Autor bis auf das angesprochene Vorwort seinen belehrenden Unterton im Roman komplett zur Seite schiebt.

Natürlich ist Sherlock Holmes die dominierende Figur der Handlung und in der Theorie dem Leser und dessen Stellvertreter Doktor Watson mindestens einen Schritt voraus. Dieses Stereotyp dreht der Erzähler im letzten Viertel des Buches zweimal auf den Kopf. Sherlock Holmes wird ausgerechnet während einer Wagner Aufführung ausgeschaltet und betäubt entführt.  Später wird er lebensgefährlich verletzt. In beiden Fällen ist es Doktor Watson, der einmal dank seines medizinischen Wissens und ein zweites Mal aufgrund einer konzertierten Aktion zur Rettung des Detektivs aktiv eingreift. Auch wird sein medizinisches Wissen ordentlich gefordert. Nicht nur als Chirurg, sondern später auch als ein Mensch, dem gerade erst im Schnellverfahren die Möglichkeit der ungefährlichen Bluttransfusion zwischen zwei Menschen vermittelt worden ist.

Doktor Watson steht - positiv gesprochen  - mehr im Mittelpunkt der Handlung als Sherlock Holmes. Es beginnt mit der Lektüre von Bram Stoker und Jules Verne.  Einem Fan muss er seine erste Sherlock Holmes Geschichte signieren, welche der Freund Sherlock Holmes hinter den Medizinbüchern in seinem Schrank aufbewahrt. Doktor Watson hat besondere erotische Träume, in welcher sich seine Mary in eine andere sehr reizvolle Frau verwandelt.

In den beiden wichtigen medizinischen Sequenzen steht Doktor Watson seinen ganzen Mann, auch wenn er gleich zu Beginn des Buches von einem potentiellen Werwolf im eigenen Garten überrannt wird. Hinzu kommt, dass Klaus Peter Walter diesen Doktor Watson als eine Art Vielfrass darstellt, der nicht nur zweimal warm zu Abend essen muss und es kann, sondern gleich am nächsten Tag wieder ordentlich Hunger hat. Das wirkt dann wieder zu eindimensional charakterisiert.  

Interessant ist auch das zweite Vorwort des Buches, das einen im Rollstuhl sitzenden Watson zeigt. Zusammen mit seinem agileren Freund Holmes leben die Beiden in einem Altersheim. Nörgelig, unzufrieden und angesichts der körperlichen Schwächen peinlich berührt,  präsentiert sich Doktor Watson auf eine gänzlich andere Art und Weise.

Sherlock Holmes bleibt im Roman neben den verschiedenen Stellen, in denen er deduziert, im Grunde nur eine wirklich herausragende Szene. Zusammen mit einem Mitglied seiner Baker Street Jungs versucht er eine Adresse herauszubekommen. Dieser Waisenjunge wird später weltberühmt als Teil des Komikerduos Stan Laurel & Oliver Hardys.

Ansonsten bleibt Sherlock Holmes über weite Strecken vor allem die Zeit, medizinische Thesen aufzustellen und Vermutungen anzustellen.

Hinzu kommt noch eine fortlaufende Wette mit Inspektor Lestrade, der als vierfacher Vater nicht wirklich gewinnen kann.

Die Antagonisten bzw. Nebenfiguren sind vielschichtig gezeichnet. Dabei wechseln sich Größenwahn und tragische Schicksale ab. Klaus- Peter Walter entwickelt die Figuren sehr sorgfältig. Soweit es handlungstechnisch notwendig ist, fügt der Autor jeweils eine Hintergrundgeschichte hinzu.    

Neben dem gut gestalteten, allerdings hinsichtlich des Vorworts und der Fußnoten sehr selbstverliebten Hintergrund des Autors überzeugen die Dialoge, während die Handlung teilweise sehr schematisch wirkt. Insbesondere das letzte Viertel zeichnet sich durch den Hang aus, eher zu zitieren, vielleicht auch ein wenig zu parodieren,  als die Geschichte wirklich angesichts der teilweise tragischen Zustände zufriedenstellend abzuschließen. Einiges entspringt dem Zufall, vor allem weil Klaus Peter Walter sich schließlich mehr und mehr auf die Hommage denn die eigenständige Handlung konzentriert. Auch wenn die Flucht durch die Wiener Unterwelt inklusive einer perfiden Falle spannend und atmosphärisch dicht beschrieben worden ist, wirkt sie im Gesamtkontext der Handlung auch auf „Der dritte Mann“ hin konstruiert, ohne das besondere Momentum vor allem der Verfilmung und weniger Graham Greenes Roman zu erreichen.

„Sherlock Holmes und der Werwolf“ ist keine Horrorgeschichte, auch wenn einzelne Aspekte eher dem Horrorgenre als einem Kriminalroman zuzuordnen sind. Es finden sich beginnend mit dem Auftreten von zwei Werwolf Erscheinungen über das Kuriositätenkabinett des Wanderzirkus bis zum primitiven und wenig sterilen Operationsraum sehr viele interessante kleine Sequenzen, welche die Leser unabhängig von der wie mehrfach angesprochen auch ein wenig zu viel zu Zitaten neigenden Handlung gut  unterhalten und „Sherlock Holmes und der Werwolf“ zu einer kurzweiligen Gute Nacht Geschichte machen.   

 

Blitz Verlag

272 Seiten Taschenbuch

Titelbild: Mark Freier

beim Verlag bestsellbar: www.blitz-verlag.de

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